Trotz der unterschiedlichen Auffassungen beider Seiten zur Ukraine-Krise und zu einigen anderen Themen hat das virtuelle Treffen zwischen Chinas Staatspräsident Xi Jinping und dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, sowie der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am späten Freitag gezeigt, dass sie sich immer noch auf ihre gemeinsamen Interessen und Verantwortung gegenüber der Welt konzentrieren können.
Es bezeichnet das erste Treffen zwischen den Staats- und Regierungschefs Chinas und der EU seit dem Wiederaufflammen des Ukraine-Konflikts.
Dabei forderte Xi die EU auf, sich selbst Wissen über China anzueignen und eine autonome China-Politik zu verfolgen. Der Block solle eine führende Rolle beim Aufbau eines ausgewogenen, wirksamen und nachhaltigen Sicherheitsmechanismus in Europa spielen, so Xi.
Der Rücktritt der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, in deren Amtszeit sich die EU um ihren Status als unabhängige und verantwortungsbewusste Macht bemühte und gleichzeitig ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, China und Russland gut ausbalancierte, erweist sich nun als Wendepunkt. Denn die hart erarbeiteten Initiativen in den Bereichen Diplomatie, Entwicklung und Sicherheit wurden zunehmend an die USA abgeben.
Das Resultat innerhalb von drei Monaten nach Merkels Rücktritt, sollte die EU-Führer wachrütteln und ihnen bewusst machen, dass sich der Block auf diese Weise schnell zu einer entbehrlichen Figur auf Washingtons geopolitischem Schachbrett degradiert.
Der Preis, den die USA dafür zahlen, sind festgefahrene Beziehungen zu China - ihrem größten Handelspartner, Hauptinvestor und Partner bei der Bekämpfung der globalen Klimakrise. Dazu kommt eine Konfrontation mit Russland - ihrem größten Erdgaslieferanten und wichtigsten Lieferanten von Industrierohstoffen - und der größte Krieg bzw. die größte humanitäre Krise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus scheinen die USA die Oberhand über fast alle Beteiligten zu gewinnen, indem sie die EU auf ihre Seite ziehen und das internationale Gleichgewicht stören.
In Anbetracht dessen sollten die Staats- und Regierungschefs der EU die Warnung Xis ernst nehmen. Die Mentalität des Kalten Krieges, die die USA den europäischen Akteuren einzuimpfen versucht haben, sollte nicht für den Aufbau des weltweiten Sicherheitsrahmens übernommen werden, da dies zu einer Politisierung und Bewaffnung von Wirtschaft, Finanzen, Technologie, Handel, Energie und Lebensmitteln führen könnte.
Angesichts von fast fünf Millionen ukrainischen Flüchtlingen und der Tatsache, dass fast die gesamte Erdgasversorgung des Blocks unterbrochen ist, Washington sich aber nur bereit erklärt, 100.000 Flüchtlinge aufzunehmen und weniger als zehn Prozent der Energie-Lücke auszugleichen, erfahren die EU-Politiker aus erster Hand, ob Xis Warnung berechtigt ist.
Nichtsdestotrotz versicherte Xi, dass Chinas Haltung zur Förderung der Beziehungen zwischen China und der EU unverändert bleiben wird.