Von Gu Yutong, Oliver Fritzsch, Jia Xing
Foto von Liu Dong/People‘s Daily Online
Anlässlich des siebten Deutschen-Chinesischen Automobilkongresses in Jiaxing hat People’s Daily Online mit Dr. Thomas Rücker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des automotive thüringen e. V. und Vertretungsberechtigter Geschäftsführer der IPOL GmbH, ein Interview geführt.
Auf seinem zweiten Besuch in China zeigt Rücker sich beeindruckt: „Das Land ist sehr dynamisch, die Menschen sind alle sehr motiviert. China ist inzwischen zu einer Weltmacht im Bereich Autoproduktion gereift, mit starker deutscher Hilfe, und liegt mit Tesla gleichauf, vor den deutschen Herstellern bei den BEV.“ Seiner Meinung nach „können die Deutschen hier lernen, wie man bezahlbare, ansprechende Autos mit hoher digitaler Konnektivität baut“. Er lobte auch die chinesische Autoindustrie, die in 30 Jahren zum „Weltmarktführer bei Elektrofahrzeugen“ geworden sei.
Zur strategischen Ausrichtung der Automobilindustrie sagte Rücker: „Geben Sie bei uns einmal in Google ‚Industriestrategie Deutschland‘ ein. Von der aktuellen Regierung finden Sie da überhaupt nichts, das aktuellste ist ein Papier von Altmaier aus dem Jahr 2019, das im Wesentlichen über Steuersenkungen referiert. Es ist schade, dass die Politik einer Wirtschaftsnation von Weltrang nicht in der Lage ist, eine Strategie zu formulieren, wie unser Wohlstand in Deutschland durch industrielle Produktion in den nächsten Jahren erhalten werden soll. Aber dann versucht sich die Politik an einer China-Strategie, welche eigentlich von der Industriestrategie abgeleitet sein müsste. China ist da, wo es ist, weil es in der Wirtschaftspolitik strategisch klüger und konzertiert agiert. Nicht, weil es ungerechtfertigt subventioniert“.
Rücker nahm zum ersten Mal am Automobilkongress teil. Auf die Frage, was er von dem Kongress erwarte, sagte er, Deutschland und China würden sich sehr gut gegenseitig ergänzen – aus Sicht der Ressourcen, Technologien und Kompetenzen. Man könne viel voneinander lernen und gemeinsam im Sinne einer fairen Partnerschaft noch stärker werden. Rücker sei von den Studenten an der Technischen Universität in Shenzhen, an der er eine Vorlesung gab, begeistert. Inzwischen habe er hier auch schon Partner gefunden und es seien gemeinsame Projekte und gegenseitige Studienreisen für Automotive Manager China-Deutschland und Deutschland-China in Planung, bei denen man ins Gespräch kommen, voneinander lernen und miteinander ins Geschäft kommen könne.
Zum Thema des Automobilkongresses „Innovation führt zu einer grünen Zukunft“ und welche Bedeutung dieses Thema für die chinesische und deutsche und sogar die internationale Automobilindustrie hat, sagte Rücker: „Die Menschheit hat keine andere Chance zu überleben, als in den nächsten 25 Jahren die Wirtschaft komplett zu dekarbonisieren. Da sitzen Deutsche und Chinesen in einem Boot. China ist Weltmarktführer bei fast allen dazu notwendigen Technologien – Photovoltaik, Speichertechnologien, Elektrofahrzeuge und bald vermutlich auch Wärmepumpen. Außerdem sind die Rohstoffe dazu hier reichlich vorhanden“. Niemand der verantwortungsvoll in der westlichen Politik denkt, könne Interesse daran haben, sich von China wirtschaftlich zu entkoppeln. Vielmehr müsse kooperiert werden, was dann aber auch heiße, das chinesische Unternehmen in Europa forschen und in der Zukunft produzieren, und China der westlichen Welt weiterhin fairen Rohstoffzugang gewähre, so Rücker. Außerdem fügt er hinzu: „Alle Nationen dieser Erde sollten Interesse daran haben, gemeinsam an diesen Technologien zu arbeiten, um das Überleben der Menschheit abzusichern. Handelsschranken in alle Richtungen sind absolut kontraproduktiv, wenn man das Ziel der Dekarbonisierung erreichen will“.
Im Januar dieses Jahres kündigte CATL die Aufnahme der Massenproduktion von Lithium-Ionen-Batteriezellen in seinem ersten ausländischen Werk in Erfurt an. Dies war auch der offizielle Startschuss für die Produktion in diesem Werk. Rücker äußerte sich dazu wie folgt: „Inzwischen sind die deutschen Automobilhersteller auf chinesische Fertigungskapazitäten angewiesen. Sowohl direkt bei der Zellfertigung als auch indirekt im Maschinenbau für die Zellfertigung, bspw. PowerCo, die VW-Tochter. Wenn die nicht liefern, stehen die deutschen Bänder. Aufgrund der Lektion, die die deutsche Wirtschaft mit COVID und der Halbleiterkrise gelernt hat, wird jetzt von den Entscheidern der OEMs gefordert, das lokalisiert wird in Europa. Die deutschen OEMs sind sehr sicherheitsbedürftig und risikoscheu und wollen robuste und abgesicherte Lieferketten. Allerdings sollten wir die Lokalisierung in Europa alle als Chance begreifen, weil die Deutschen mit ihren spezifischen Eigenschaften und ihrem tiefgründigen Wissen die perfekten Partner sind, Produkte zu perfektionieren. Chinesische Geschwindigkeit und Dynamik und deutsches Perfektionsstreben und Ingeniösität sind eine perfekte Kombination“.
Nach seinen Erwartungen von der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen dem Thüringer Automobilcluster und China befragt, sagte Rücker, er erwarte „gute Innovations- und Marktchancen für beide Seiten und eine langfristig nachhaltige Prosperität“. Seiner Meinung nach könne die Zusammenarbeit wie folgt weiter vertieft werden: „Im ersten Schritt sollte der gegenseitige Austausch auf Managementebene und mit Fachleuten und Regierungsmitarbeitern intensiviert werden. Damit schafft man gegenseitiges Verständnis. Im zweiten Schritt sollten gemeinsame Projekte angegangen werden, beispielsweise gegenseitige Investitionen, Aufbau von interkontinentalen Lieferketten und ein Aufbau von gemeinsamen Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Unser duales Ausbildungssystem und die praxisnahe angewandte Hochschulausbildung sind in China sehr gefragt und auch notwendig“.
Auf seiner Chinareise besuchte Rücker mehrere Städte und chinesische Automobilunternehmen. Über den aktuellen Entwicklungsstand chinesischer Automobilunternehmen, insbesondere der Unternehmen im Bereich der Neue Energie-Fahrzeuge sagte er, dass er von der Sauberkeit, dem technischen Entwicklungsstand der Werke und dem Automatisierungsgrad beeindruckt gewesen sei. „Da kann sich das eine oder andere deutsche Unternehmen eine Scheibe abschneiden. Wir durften auch alles fotografieren und alles Wissen wurde geteilt, was in Deutschland so nicht geht. Wissen wird hier auch geteilt“. Die Produkte seien insgesamt Weltspitze. Als „Lean-Fachmann“ habe er in den Prozessen noch einige Verbesserungspotenziale entdeckt und man könne noch sehr viel Personal, Fläche und Ressourcen einsparen und auch den Output steigern. Das läge auch daran, dass es in China keine richtige praxisnahe Ausbildung für Automatisierungstechniker, Industrie-4.0-Experten, Production Engineering und Supply Chain Management gebe, und an dem Top-Down-Führungssystem in den Betrieben.
Abschließend ist Rücker der Meinung: „China kann uns dabei helfen, bezahlbare und ansprechende gute Produkte für breite Bevölkerungsschichten zu entwickeln und zu bauen, und wir können China dabei helfen, schlanke, automatisierte Prozesse und robuste Lieferketten aufzubauen“.